Qigong – Willkommen in der Mitte

In den sanften Übungen des Qigong steckt eine große Kraft: die Lebenskraft, die von den Chinesen als „Qi“ bezeichnet wird. Wenn wir uns mit ihr verbinden, unterstützen wir unseren Körper, beruhigen unsere Emotionen und öffnen uns für die Schönheit des Lebens.

Autorin: Jana Pajonk 

An einem sonnigen kalten Wintertag bin ich auf dem Weg ins Rabenhaus, einem Nachbarschaftszentrum in der Köpenicker Dammvorstadt. Hierhin hat mich Antje Vogel eingeladen, die im Rabenhaus drei Qigong-Kurse pro Woche gibt, die von Jung und Alt besucht werden. Heute darf ich mal reinschnuppern.

Die Lebenskraft soll fließen

Qigong gehört zur Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM), wie ich aus meinen Recherchen weiß.

AUF DEUTSCH BEDEUTET DAS: „ARBEITEN MIT DEM QI“, DER UNIVERSELLEN LEBENSKRAFT, DIE IN ALLEM LEBENDIGEN ZU HAUSE IST. KANN DAS QI UNGEHINDERT FLIESSEN, IST DER MENSCH GESUND, WUSSTEN SCHON DIE ALTEN CHINESEN.

Gibt es irgendwo Blockaden, entstehen Missstimmungen, Leiden und Krankheiten. Je stärker diese ausgeprägt sind, umso mehr müssen Therapeuten und Ärzte eingreifen. Die hierzulande bekannteste Heilmethode der TCM ist die Akupunktur, aber auch Anwendungen mit Heilkräutern oder Massagen werden immer populärer. Während diese Anwendungen immer von Therapeuten durchgeführt werden müssen, ist das Qigong eine Möglichkeit, selbst etwas für sich und seine Gesundheit zu tun. Mit langsamen, geschmeidigen Übungen verbinden sich Atmen und Bewegung. So kommt der Geist zur Ruhe und wir landen mitten im Moment. Hier können wir kleinere Blockaden sofort oder größere Stück für Stück selbst auflösen. So die Theorie.

Antje Vogel Jahrgang 1953, hat zwei Söhne. Sie war Kindergärtnerin, Wirtschaftsingenieurin und Sparkassenfachwirtin. Kurz vor dem Eintritt in den Vorruhestand entdeckte sie das Qigong für sich. Die Kraft, Lebenskraft und Freude, die das Qigong in ihr weckt, wollte sie weitergeben und machte eine Qigong- Lehrerausbildung. Seit 2013 gibt sie Kurse in Berlin. (© Antje Vogel)

Ein sanfter Einstieg

Ich bin etwas außer Atem, als ich den Bewegungsraum des Rabenhauses betrete, denn ich bin spät dran. Ganz im Gegensatz zu meiner Eile treffe ich hier auf entspannte Geselligkeit: Fünf Frauen, in bequemen Sachen, stehen quasselnd um eine Teekanne. Eine kleine, strahlende Frau kommt auf mich zu. Das ist Antje. „Herzlich Willkommen“, sagt sie und lädt mich ein, mich umzuziehen und einen Tee zu trinken, bevor es losgeht. Beim warmen Orange-Ingwer-Tee lerne ich die vier anderen Frauen kennen: Hilli (68), Karin (65), Gisela (74) und Helga (83) sind Freundinnen und machen seit 30 Jahren gemeinsam Qigong. Hilli hatte die Entspannungsübungen Ende der 1980er-Jahre auf einer Kur kennengelernt und ihren Freundinnen begeistert davon berichtet. Sie tourten durch VHS-Angebote der Stadt und landeten nun, wo alle in Rente sind, hier in Köpenick.

Es geht los. Jede von uns hat einen eigenen Platz, bestehend aus einer Matte und einem Hocker. Die 83-jährige Helga hat ihren Gehstock an die Wand gelehnt und wird von Antje aufgefordert, gut auf sich zu achten und genau zu schauen, welche Übungen sie mitmachen kann und möchte. Sie wird sich während der Stunde hin und wieder setzen. Wir beginnen mit der Erwärmung, das sind Übungen, die sanft dehnen und die Balance fördern. Antje bedient sich verschiedener Anregungen aus ihren Büchern und stellt sie immer wieder neu und passend zusammen, sagt sie später.

Übungen passend zur Jahreszeit Als Nächstes kommen die sogenannten Meridianübungen.

 

„DER FRÜHLING, DER SOMMER, DER SPÄTSOMMER, DER HERBST UND DER WINTER HABEN IHRE EIGENEN MERIDIANÜBUNGEN. DENN ZU JEDER JAHRESZEIT WERDEN BESTIMMTE ORGANE BESONDERS GEFORDERT“, ERKLÄRT DIE QIGONG-LEHRERIN.

Im Winter sind das die Blase und die Niere. Die ihnen entsprechenden Energiebahnen im Körper, die Meridiane, können wir mit gezielten Übungen aktivieren und damit die Funktion dieser Organe stärken und sie schützen. Für jedes dieser Organe gibt es eine Folge von Bewegungsabläufen, die wir praktizieren. Sie werden alle im Stehen geübt und sind nicht anstrengend wie z. B. beim Sport oder Yoga, erfordern jedoch eine angenehme Konzentration. Ich achte auf meine Atmung und die Koordination der Bewegungen und werde so mitten in den Moment getragen. Plötzlich sind alle Gedanken an To-do-Listen weg, unangenehme Gefühle fern. Ich bin einfach nur da. Und übe. Ich mag die geschmeidigen Bewegungsabläufe, die mir die Anmut eines jeden Menschen vor Augen führen. Nachdem wir mit dem Meridianübungen unsere Organe gestärkt haben, gibt es eine kleine Tee-Pause.

Verbunden mit den Elementen

Im letzten Teil des Kurses führen wir wunderbare Übungen aus, die uns noch mehr in die innere Ruhe bringen und dabei meine Fantasie anregen. Meine liebste Übung ist die sogenannte „5-Elemente-Übung“. Sie beginnt wie alle Übungen mit der Konzentration auf das Energiezentrum des Körpers, unterhalb des Bauchnabels, wo beide Hände übereinandergelegt werden. Dann heben wir die Hände und lassen sie wie fließendes Wasser (Winter) nach unten gleiten.

HIER FORMEN WIR EINEN TEICH, SCHÖPFEN WASSER, HEBEN ES ÜBER UNSEREN KOPF UND LASSEN ES AUF EINEN BAUM REGNEN.

Er steht für das Element Holz, das den Frühling repräsentiert. In unserer Fantasie sammeln wir Holz und entfachen ein Feuer (Sommer), teilen die Wärme nach rechts und links, bis wir ernten können – im Spätsommer, verbunden mit dem Element Erde. Wir danken der Mutter Erde, streicheln sie und drehen am großen Rad, das den Herbst und das Element Metall repräsentiert, einmal links, einmal rechts herum. Und dann ruhen wir wieder in unserer Mitte, dem Energiezentrum, und ich genieße das Gefühl, mit mir und allem verbunden zu sein.

Die Entdeckung der Langsamkeit

Ich bin nicht allein mit meinem Wohlbefinden.

„MIR SCHENKT DAS QIGONG EINE INNERE ZUFRIEDENHEIT UND MEHR GELASSENHEIT“,

… sagt die 68-jährige Hilli beim Tee nach dem Kurs. „Mein Kopf wird frei, ich bin ganz bei der Sache und das entspannt mich enorm.“ Sie könne es jedem nur empfehlen und sei überzeugt, dass sie sich ohne diese wöchentlichen Übungen bei Weitem nicht so fit und gesund fühlen würde, nicht so geschmeidig und beweglich. Ihre Freundin Karin gibt ihr recht und erzählt, wie sie sich einmal auf einem Segelboot mit Qigong-Übungen von der Seekrankheit geheilt hat. Fast immer, wenn ich bislang an Qigong dachte, hatte ich Bilder von sehr alten Chinesen im Kopf, die unter Bäumen diese anmutigen Bewegungen vollführen. Aufgrund der Sanftheit und Achtsamkeit der Übungen ist Qigong bis ins hohe Alter geeignet. Es stärkt den gesamten Organismus, ohne dass es mit Kraft oder Leistung verbunden ist. Nur eines ist unabdingbar: „Die Leute müssen sich auf Langsamkeit einlassen können“, sagt Antje nach dem Kurs zu mir. Ich konnte es und kann es jedem nur empfehlen.

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